info@public-pioneers.de | Tel. 07808/ 9139 181

“Wir können nicht mehr klar abgegrenzt in einzelnen Fach- oder Aufgabenbereichen arbeiten.” 

Was tun, wenn Innovation und neue Projekte in der Verwaltungs-Hierarchie hängen bleiben? Sophia Eich, Referentin für den Programmbereich Organisations- und Informationsmanagement KGSt, denkt Führung weiter: Warum Hierarchien nicht das Problem sind, sondern die Haltung dahinter? Außerdem geht sie im Interview darauf ein, wie der Wandel gelingen kann, ohne Organisationen zu überfordern. 

Frau Eich, die Organisation in der öffentlichen Verwaltung ist durch klare Hierarchien gekennzeichnet. Welche Vorteile haben solche Hierarchien? 

Unabhängig von der öffentlichen Verwaltung sorgen Hierarchien in Organisationen für Klarheit darüber, wer welche Entscheidungen trifft, wer welche Verantwortung hat und wie die Entscheidungsketten aussehen. Neben der Hierarchie gibt es die Aufgabenverteilung, die ebenfalls für Klarheit sorgt – grundsätzlich eine gute Sache. Je größer die Organisation, desto klarer müssen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten geregelt und bekannt sein, damit die Abläufe funktionieren. 

Was sind die Nachteile von Hierarchien in der öffentlichen Verwaltung? 

Nachteile entstehen vor allen Dingen dann, wenn die Wege zu lang sind. Das trifft insbesondere dann zu, wenn die Verantwortlichkeiten relativ weit oben in der Hierarchie liegen und der Weg über die Hierarchie gegangen werden muss, weil es keinen direkten Weg zur Person gibt, die die Entscheidung final treffen kann. Am Ende steht dann oftmals zwar eine Entscheidung, die für die Verwaltung im Großen und Ganzen passt, die für den einzelnen Menschen und sein individuelles Problem jedoch möglicherweise keine vollständige Lösung darstellt oder diese zu viel Zeit in Anspruch genommen hat. Schwierig wird es auch, wenn Menschen Positionen innehaben, bei denen sie Entscheidungen treffen müssen, dies aber nicht tun. 

Wird dann die Hierarchie ein Stück weit ausgehebelt und der Vorgang gestoppt? 

Genau, dann funktioniert es nicht mehr. Dadurch entsteht dann etwas, das in der heutigen Zeit häufig Thema ist: Wir können nicht mehr klar abgegrenzt in einzelnen Fach- oder Aufgabenbereichen arbeiten. Stattdessen haben wir viele einzelne Bereiche über die gesamte Organisation verteilt, die für ein Projekt zusammenarbeiten müssen. Jedes Digitalisierungsprojekt muss beispielsweise mit mehreren Disziplinen und über mehrere Bereiche hinweg umgesetzt werden. Dadurch entsteht eine Situation, in der viele Menschen bereichsübergreifend zusammenarbeiten und für unterschiedliche Bereiche verantwortlich sind. Gelingt es nicht, diese Zusammenarbeit gut zu strukturieren bzw. aufzubauen und die Verantwortlichkeiten sinnvoll zu verteilen, dann kommt es zu Problemen und der Ablauf wird unbeweglich und langsam. 

Welche Alternativen gibt es dazu? 

Zum einen gibt es die Möglichkeit, vorhandene Systeme zu verbessern und die Menschen zu befähigen, ihre Entscheidungen schneller und besser zu treffen. Wir nutzen das, was vorhanden ist und versuchen, das Beste herauszuholen. Ja, auch das wird womöglich Grenzen an den Menschen haben und teilweise auch an den vielen Hierarchieebenen sowie an der Langwierigkeit der Wege scheitern, sodass man es nicht von jetzt auf gleich vollständig verändern kann.

Eine andere Möglichkeit, die Zusammenarbeit zumindest bereichsübergreifend zu verbessern, besteht darin, dafür zu sorgen, dass Projekte in der Verwaltung besser aufgegleist werden können. Das gelingt, wenn die Projektarbeit bzw. das Projektmanagement professionalisiert und wenn interdisziplinär und crossfunktional zusammengearbeitet wird. Dabei kann man über Rollen und Selbstorganisation durchaus zu einem besseren Ergebnis kommen. 

Gehen wir auf den Aspekt Führung ein. Es existieren verschiedene Führungsmodelle. Neben dem klassischen Modell, bei dem eine Person ein Team führt, gibt es beispielsweise die Möglichkeit, die Verantwortung auf mehrere Personen aufzuteilen – Stichwort Holokratie. Welche Vorteile bietet dieses Modell und ist es in der öffentlichen Verwaltung umsetzbar? 

Ich bin der Meinung, dass es umsetzbar ist. Was wir jedoch nicht wollen, ist eine handlungsunfähige Verwaltung. Die Verwaltung als Linienorganisation mit ihrer Hierarchiestruktur einfach abzuschaffen, ist daher keine Option. Realistischer ist es, zunächst einmal das Organigramm beizubehalten und dann an den passenden Stellen Hierarchien bzw. Verantwortungen auf Rollen zu verteilen. Das betrifft vor allem Bereiche, in denen Menschen aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammenkommen, weil sie in einem Projekt zusammenarbeiten. Das können aber auch Bereiche wie Querschnitt, Personal oder Organisation sein, die ohnehin häufig projektorientiert arbeiten und weniger klassisch strukturiert sind bzw. keine klassische Leistungssachbearbeitungsfolge haben. Das heißt jedoch nicht, dass es in anderen Bereichen nicht funktioniert. Ich würde mit den Bereichen anfangen, die sich sozusagen dafür aufdrängen, weil man dort eine andere Art der Zusammenarbeit benötigt. 

Ist es demnach weniger sinnvoll ein Konzept überzustülpen, als punktuell zu schauen, wo neue Ansätze funktionieren können? 

Ich orientiere mich da so ein bisschen an dem, was wir in ganz vielen anderen Disziplinen auch vorfinden. Das Prinzip ,,One fits all“ ist schon seit einigen Jahren überholt, und das gilt auch für die Organisation. Eine große Stadt- oder Kreisverwaltung wird aufgrund ihrer Größe tendenziell stärker hierarchisch geprägt sein und sich in einzelnen Bereichen verändern können als eine deutlich kleinere Kommune, die in ihrer Organisationsstruktur beweglicher ist. Es ist heute wichtiger denn je, genau zu analysieren, was benötigt wird und welches Ziel erreicht werden soll, um dann zu einer entsprechenden Lösung zu kommen.

Auch wenn ich ein großer Fan von Agilität und Selbstorganisation bin, ist dies nicht die Lösung für all unsere Probleme. So richten beispielsweise verschiedene Kommunen Teilbereiche der Feuerwehr oder der Bäderbetriebe nach agilen Methoden oder Scrum aus. Das funktioniert auch sehr gut. Dabei muss allerdings klar sein, wer welche Entscheidungen trifft und wer welche Verantwortlichkeiten hat. Ich denke, dass wir daher genau hinschauen müssen, in welchen Bereichen der Verwaltung welche organisationalen Veränderungen zielführend sind. 

Es gehen aktuell viele Führungskräfte der Babyboomer-Generation in den Ruhestand. In der Folge werden immer häufiger junge Menschen eingestellt, um die Stellen nachzubesetzen. Die Vorstellungen von Hierarchien können sich hierbei je nach Generation stark unterscheiden, was zu Widerständen führen kann. Wie kann es einer jungen Person dennoch gelingen, einen Kompromiss zu finden und bewährte Mechanismen beizubehalten sowie gleichzeitig Änderungen einzuführen? 

Ich weiß gar nicht, ob das Ziel hierbei am Ende ein Kompromiss sein sollte. Ein Kompromiss ist die kleinste gemeinsame Lösung, die gefunden wird. Es ist aber sicherlich hilfreich das zu behalten, was sich bewährt hat und in Zukunft weiterentwickelt werden kann. Gleichzeitig nehmen wir neue Aspekte mit hinein, weil wir gemerkt haben, dass bestimmte Vorgehensweisen an ihre Grenzen gestoßen und nicht zukunftsfähig sind. Und da verändern wir etwas. Wenn ich als junge Führungskraft irgendwo neu hereinkomme werden natürlich Widerstände auftreten. Das ist völlig normal. Die Mehrheit der Menschen im Team wird sich die Veränderungen erst einmal anschauen und möglichweise auch gut und sinnvoll finden. Ein Teil wird Feuer und Flamme sein, weil die Menschen denken, dass es wirklich an der Zeit für Veränderungen ist. Und es wird natürlich auch diejenigen geben, die dagegen sind, aus welchen Gründen auch immer. Letztendlich leben wir davon, dass sich Dinge immer wieder verändern und wir uns als Organisationen an veränderte Rahmenbedingungen anpassen können.

Hätten wir die Veränderung nicht vorangetrieben, würden wir heute noch mit einer Schreibmaschine arbeiten. Deshalb glaube ich, dass der Umgang mit Veränderung erfolgskritisch ist. Dabei muss einem immer klar sein, dass man nie alle Menschen erreichen wird. Es wird nie möglich sein, alle Menschen zu überzeugen. Ich denke, dass letztlich die Mehrheit der Menschen der Macht folgen und den Weg mitgehen wird. Ob sie die Veränderung positiv bewerten, ist eine andere Frage, aber sie werden den Weg mitgehen. Was auch klar sein muss: Wenn man als Führungskraft wirklich etwas verändern will, muss man nicht nur der Motor sein und antreiben, sondern auch manchmal den Karren den Berg hochschieben. Veränderung ist kein Selbstläufer und erfordert wahnsinnig viel Energie. 

Benötigt die Führungskraft darüber hinaus mindestens erste Berufserfahrungen? 

Ja, ich glaube, das hilft auf diesem Weg, mit allen Überraschungen. Und manchmal muss man auch mal die Zähne zusammenbeißen. Natürlich gibt es auch in Veränderungsprozessen großartige Erfahrungen, nämlich genau dann, wenn etwas gelingt, wenn das Team merkt, dass sich etwas verändert und dass verschiedene Tätigkeiten leichter fallen oder beispielsweise die Kommunikation verbessert wird. Aber es ist natürlich von Vorteil, wenn man ähnliche Veränderungsprozesse schon einmal begleitet hat oder zumindest ein Teil davon war. 

Wie kann es gelingen, dass die (junge) Führungskraft zunächst ihr eigenes Team von der Sache überzeugt und darüber hinaus bestenfalls auch die eigenen Vorgesetzten hinter sich stehen hat? 

Wenn die Person möchte, dass sich im besten Fall die gesamte Organisation ändert und nicht nur das eigene Team, muss sie sich darüber klar werden, wo genau ihr Einflussbereich liegt. Stichwort: Circle of Influence. Als Führungskraft kann ich mein Team zumindest bedingt beeinflussen, da ich bestimmte Fachverantwortung sowie Ressourcen- und möglicherweise auch Personalverantwortung habe. Als Führungskraft kann ich in diesem Bereich etwas bewegen. Alles darüber hinaus ist jedoch kaum beeinflussbar.

Hier kann ich versuchen, Verbündete zu finden und ein Netzwerk aufzubauen. Letztendlich hängt es davon ab, wie sehr sich die gesamte Führungsebene wirklich auch als ein Team begreift. Wenn man in einer Organisation auf Führungsebene etwas ändern will, hat es meiner Wahrnehmung nach immer dann gut funktioniert, wenn der Verwaltungsvorstand sein Verständnis von Führung klar definiert und diese Kultur in seinem Haus etablieren will. Dann bewegen sich auch die meisten der Führungskräfte in genau diese Richtung und es ist möglich, auf die gesamte Organisation einzuwirken. 

Ist ein Verwaltungsvorstand im Umkehrschluss ein Hindernis, wenn er sich bestimmten Veränderungen gegenüber nicht offen zeigt? Wird durch die bestehende Hierarchie die gewünschte Innovation vielleicht sogar systematisch verhindert? 

Auch hier geht es wieder um die Frage der Einflussnahme. Wenn ich mich in einem hierarchischen System befinde, muss ich damit leben können, dass es immer wieder Menschen gibt, die mehr zu sagen haben als ich und mir sagen, dass etwas nicht so umgesetzt wird, wie ich es mir vorstelle. Dann stellt sich die Frage, wie man persönlich damit umgeht. Geht es eher darum, dass ich in neun von zehn Fällen das machen kann, was ich für zielführend halte? Oder kommt alles, was ich anbringen möchte, immer in der Hierarchie zurück? Ich würde also nicht sagen, dass die Hierarchie zwingend ein Hemmer für Innovation ist.

Ich glaube, dass sie sogar ein Katalysator für Innovation sein kann. Es kommt vielmehr darauf an, wie die Menschen konkret agieren. Haben wir hier wirklich einen permanenten Zustand, indem alles, was moderner, neuer oder innovativer erscheint, irgendwie blockiert wird? Dann muss ich mir irgendwann tatsächlich die Frage stellen, ob es das richtige Spielfeld für mich ist und ob ich nicht doch vielleicht woanders wirksamer sein kann. 

Muss eine Führungskraft demzufolge hinnehmen, dass sie bestimmte Dinge nicht verändern kann? 

Es gibt Bereiche, in denen ich keinen Einfluss nehmen kann, weil andere Menschen an dieser Stelle mehr zu sagen haben. Ob das im jeweiligen Fall gut, richtig, sinnvoll oder zukunftsweisend für die Organisation ist, das ist dann eine andere Frage. Aber das ist nun mal unsere Realität, die uns, um nochmal zur Ausgangsfrage zurückzukommen, an manchen Stellen auch entlastet. Nämlich in der Hinsicht, dass es jemanden gibt, der mehr zu sagen hat und damit auch mehr Verantwortung übernimmt. Es kann auch entlastend sein, wenn es dann nicht um die innovativen Ideen, sondern um fachthematische und personelle Entscheidungen sowie um Ressourcenfragen geht. 

Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, eine externe Perspektive zu Rate zu ziehen? 

Ich glaube sogar, dass dies besonders wichtig ist, wenn man das für eine größere Organisation oder Organisationseinheit umsetzen möchte. Manche Kommunen verfügen je nach Größe bereits über ein sehr gutes Inhouse-Consulting. Ich würde aber in jedem Fall eine externe Begleitung bei einem großen Transformationsprozess empfehlen. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass es nicht ,,heuschreckenartig’’ passiert. Manche Beratungsunternehmen kommen rein und versuchen, ihre Standard-Lösungen unterzubringen. Dann gehen sie irgendwann wieder. Am Ende herrscht große Unklarheit darüber, wie die beschriebenen Veränderungen als Organisation alleine in der Praxis auch langfristig umgesetzt werden können.

Wenn, dann empfehle ich eine Prozessbegleitung, die von der Haltung her nach dem Motto arbeitet: „Wir begleiten euch, aber schlussendlich geht es darum, dass ihr als Organisation in diesem Transformationsprozess selbst handlungsfähig werdet.” Es sollte also kein System von der Stange sein, dass man darüber zu ziehen versucht, weil das am Ende des Tages kaum funktioniert. Und ich glaube, von dieser Art der Beratungen können einige Kommunen ein Lied singen. Dann liegt ein Abschlussbericht vor, die Berater sind weg und es herrscht Ratlosigkeit. Am Ende dachte man sich: Schublade auf, Papier rein, Schublade zu.

Solche Prozesse müssen also von innen heraus gelingen. Ich brauche das Know-how im eigenen Haus, auch wenn ich für den Auftakt und gerade zu Beginn des Prozesses in jedem Fall eine externe Prozessbegleitung hinzuziehen sollte. 

Müsste also die Initialzündung von außen kommen und die eigentliche Veränderung von innen heraus durchgeführt werden? 

Idealerweise geht die Initialzündung für Veränderungen bzw. die Feststellung von Veränderungsbedarfen aus der Verwaltung selbst aus. Je nach Größe des Transformationsprozesses ist es dann sehr sinnvoll, eine externe Begleitung hinzuzuziehen. Diese sollte Hilfe zur Selbsthilfe leisten und die Menschen in der Organisation befähigen, den Veränderungsprozess auch langfristig zu bewältigen. Schließlich geht es nicht darum, dass sich kurzfristig alles auf einmal ändern soll bzw. muss, sondern darum, dass wir unsere Denk- und Handlungsmuster durchbrechen wollen, um eine kontinuierliche Veränderung zu bewirken. 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Eich!  

Zur Person:

Sophia Eich ist Referentin für den Programmbereich Organisations- und Informationsmanagement bei der KGSt. Verwaltungen kennt sie allerdings nur zu gut aus interner Brille. Denn sie war zuvor beim Landkreis Vulkaneifel sowie bei der Verbandsgemeinde Daun tätig. 

“Wir können nicht mehr klar abgegrenzt in einzelnen Fach- oder Aufgabenbereichen arbeiten.” 
Nach oben scrollen