Wie kann die Ausbildungsquote erhöht werden und zugleich auch die Qualität der Ausbildung? Die Stadt Kassel hat sich diese Fragen nicht nur gestellt, sondern auch innovativ umgesetzt. Gegründet wurde eine eigene Ausbildungsfirma namens „talent cloud kassel“. Die Praxisanleitenden Steffi Basche und Abdullah Yildiz geben im Interview vielseitige Einblicke in die Entstehung und tägliche Arbeit mit den Auszubildenden sowie Fachabteilungen.
Wie kam es überhaupt zur Idee der talent cloud?
Steffi und Abdullah: Infolge des demografischen Wandels werden in den kommenden Jahrzehnten zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kasseler Stadtverwaltung aus dem Dienst ausscheiden. Ein Instrument im Kampf gegen den demografischen Wandel und den damit einhergehenden Fachkräftemangel ist die Erhöhung der Ausbildungsquote entsprechend den Personalplanungsdaten. Diese Entwicklung bietet der kommunalen Stadtverwaltung zusätzlich die Chance, sich zu verjüngen und somit die klassischen Folgen einer Überalterung im Arbeitskontext abzumildern. Eine solche Steigerung der Ausbildungszahlen ist für einige Fachämter jedoch kaum leistbar, da es bereits jetzt teilweise an räumlichen sowie personellen Kapazitäten dafür mangelt.
Daher entstand das Konzept, dass Auszubildende sowie Anwärterinnen und Anwärter Aufgaben aus dem Realbetrieb der Stadtverwaltung übernehmen. Die Ausbildungsinhalte werden zudem durch eigene, für die Kasseler Stadtverwaltung relevante Projekte, ergänzt. Diese Maßnahmen werden in den agilen Räumlichkeiten des Amtes der Stadt Kassel Akademie durchgeführt. Die Stadt Kassel Akademie beschäftigt sich mit den Themen Aus- und Fortbildung, Personalentwicklung und Gesundheitsmanagement.
Die Möglichkeit, hier einen zusätzlichen Praxisabschnitt zu schaffen, erlaubt es, mehr auszubilden und zwar ohne, dass zusätzliche Ressourcen für Räumlichkeiten und personelle Betreuung in den Fachämtern benötigt werden.
Die Erhöhung der Ausbildungszahlen konnte folglich nur durch die Gründung einer Ausbildungsfirma, der „talent cloud kassel“, gewährleistet werden. Als Vorreiterin kann die Stadt Essen bezeichnet werden, die im Jahr 2017 die erste kommunale Ausbildungsfirma, das InOffice, ins Leben gerufen hat.
Es entstand eine eigene Ausbildungsfirma. Wie viele Mitarbeitende arbeiten dort?
Steffi und Abdullah: Für die Konzeptionierung, Organisation und Durchführung der talent cloud wurden zwei Praxisanleitende eingestellt, die als Tandem fungieren. Die Aufgaben lassen sich wie folgt kategorisieren: Zu Beginn stand die Konzeptionierung und der strategische Aufbau der talent cloud im Vordergrund. Anschließend erfolgte die Durchführung und das kontinuierliche Monitoring sowie eine darauf basierende Weiterentwicklung der Ausbildungsfirma.
Die strategische Steuerung der Personal- und Aufgabenplanung sowie die Akquise neuer Aufgaben und die Kommunikation mit den verschiedenen Fachämtern stellen wesentliche Bestandteile der Aufgaben dar. Die Praxisanleitenden tragen die Dienstaufsicht über die in der talent cloud eingesetzten talents. Des Weiteren obliegt ihnen die Durchführung von Beurteilungsgesprächen sowie die regelmäßige Abgabe von Feedbacks.
Wie sieht der Ablauf der Ausbildung oder des Dualen Studiums bei euch in Kassel nun durch die talent cloud aus?
Steffi und Abdullah: Die talent cloud bildet einen eigenen Praxisabschnitt ab. Der wesentliche Unterschied zu anderen Organisationseinheiten besteht darin, dass hier verschiedene Aufgaben aus den Fachbereichen kurz-, mittel- oder langfristig zur Bearbeitung in die talent cloud kassel gegeben und von den Auszubildenden und Anwärterinnen und Anwärtern bearbeitet werden. Die vorhandenen Aufgaben werden zielgruppengerecht übertragen, um das Selbstbewusstsein, die Selbstreflexion, die Kommunikationsfähigkeit sowie die Problemlösungsfähigkeit der Auszubildenden und Anwärterinnen und Anwärter zu fördern. Dabei werden die individuellen Bedürfnisse und Kompetenzen berücksichtigt.
Neben der fachlichen Bearbeitung von Realaufgaben und Projekten beinhaltet der Praxisabschnitt auch Komponenten zur Entwicklung der Persönlichkeit und Sozialkompetenz. Zudem werden spezifische Verwaltungskompetenzen gebündelt und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vermittelt, sodass diese Kompetenzen auch in den Praxisabschnitten innerhalb der Fachbereiche angewandt werden können.
Da in der talent cloud kassel Nachwuchskräfte aus verschiedenen Jahrgängen und Berufsgruppen zusammen ausgebildet werden, wird auch das Netzwerken gefördert. Dadurch sollen die Fähigkeiten zur Kommunikation und Arbeit im Team gestärkt werden. Diese Fähigkeiten und Eigenschaften werden benötigt, um im persönlichen und beruflichen Leben erfolgreich zu sein. Außerdem sind unsere Fachkräfte der Zukunft auch Multiplikatoren, die durch die gewonnenen Kontakte das „Silodenken“ in der Verwaltung perspektivisch aufbrechen können.
Wie erfolgt die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachabteilungen?
Steffi und Abdullah: Die talent cloud übernimmt eine Vielzahl von Aufgaben und Projekten für unterschiedliche Ämter. Im Falle einer Anfrage bezüglich der Übertragung einer Aufgabe wird diese durch die Praxisanleitenden bearbeitet. Nach Gesprächen zwischen den Praxisanleitenden und den anfragenden Fachbereichen, in denen die Rahmenbedingungen besprochen werden, wird eine Kooperationsvereinbarung erstellt, in der alle Vereinbarungen festgehalten werden. Wichtig ist, dass mindestens eine, idealerweise zwei feste Ansprechpartner/innen in den Fachbereichen benannt werden, die bei Rückfragen jederzeit zur Verfügung stehen. Darüber hinaus wird in jedem Abschnitt ein kurzer Workshop seitens des Fachbereiches durchgeführt. In diesen Workshops werden die Hintergründe der zu bearbeitenden Aufgaben erläutert und die einzelnen Schritte der Bearbeitung erklärt. Nach jedem Abschnitt wird seitens der Praxisanleitenden Feedback eingeholt, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren und die Qualität der Bearbeitung sicherzustellen.
Das Feedback bislang ist durchweg positiv, sodass eine steigende Nachfrage nach den Leistungen der talent cloud durch die verschiedenen Ämter und Abteilungen zu verzeichnen ist.
Die Gründung erfolgte im Januar 2023. Wie fällt das bisherige Fazit aus?
Steffi und Abdullah: Nach gut eineinhalb Jahren können wir insgesamt ein sehr positives Zwischenfazit ziehen. Wir konnten viele kleine und größere Herausforderungen meistern, wie zum Beispiel ein funktionierendes Datenschutzkonzept auszuarbeiten und das Vertrauen der Ämter zu gewinnen. Erfolgsfaktoren dabei waren vor allem zwei Dinge.
Zum einen der Austausch mit anderen Ausbildungsfirmen im sogenannten Ausbildungsfirmenring. In diesem Format werden Erfahrungen ausgetauscht. Auf diese Weise konnten wir bereits ab Stunde 0 von den Lehren anderer Ausbildungsfirmen profitieren und einige Fehler direkt umgehen. Diese interkommunale Zusammenarbeit war sehr inspirierend und wertvoll für uns.
Zum anderen waren vor allem unsere Auszubildenden und Studierenden, die talents, selbst die Ursache für das vielversprechende Resümee. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wer seinen Auszubildenden etwas zutraut, feststellen wird, dass diese fast so viel leisten können wie reguläre Mitarbeitende und dass Ausbildung in der Tat entlastet und nicht nur belastet. Das Vertrauen, welches uns die Ämter mittlerweile entgegenbringen, ist das Ergebnis der stets qualitätsvollen und zuverlässigen Arbeit unserer talents, die sich im Team jeder Herausforderung stellen. Rückblickend ist es auch sehr gut, dass wir so schnell ins Handeln gekommen sind und nach einer vierteljährigen Konzeptionsphase einfach losgelegt haben. So konnten wir wertvolle Erfahrungen sammeln und helfen mittlerweile mit unserem Know-How bereits anderen Kommunen Ausbildungsfirmen zu gründen.
Wir sind stolz darauf, nicht nur mit den übernommenen Sachbearbeitungsaufgaben die Ämter der Stadt Kassel zu entlasten, sondern auch Projekte für sie zu übernehmen, die einen absoluten Mehrwert haben und für die an anderer Stelle einfach keine Ressourcen vorhanden sind.
Nur um ein kleines Beispiel zu geben: Wir haben Content für den Diversityday produziert, organisieren regelmäßig Schnuppertage für interessierte Schüler/innen und helfen dabei die Dienstleistungen der Stadt Kassel verständlich und ansprechend aufzubereiten.
Wo sind die größten Herausforderungen für die nächsten Jahre?
Steffi und Abdullah: Das Stichwort hier ist organisches Wachstum. Wir müssen es schaffen, stetig zu wachsen, aber nicht zu schnell. In der Spitze waren bislang acht talents bei uns, es sollen perspektivisch 15 werden.
Unser wichtigster Grundsatz ist, die Aufgaben, die uns andere Fachämter anvertrauen, rechtssicher und qualitätsvoll zu bearbeiten. Das geht aber nur, wenn alle talents gut eingearbeitet sind und wir sie gut betreuen und begleiten können. Dafür müssen wir Abläufe standardisieren, um mehr Zeit für individuelle Begleitung zu schaffen. Es wird auch mehr Steuerung der Aufgaben nötig sein, da es zu viele Aufgaben sind, um sie, wie bislang, von allen gleichermaßen bearbeiten zu lassen.
Projektarbeiten sind uns wichtig, weil sie die Stadtverwaltung über das reine Maß des Funktionierens unterstützen und weil sie nochmal andere Kompetenzen bei den talents fördern und sie dadurch andere Arbeitsweisen kennenlernen. Projekte haben allerdings einen verhältnismäßig großen Betreuungsaufwand. Wir müssen dementsprechend schauen, dass wir all dies gut austarieren, um alle Bälle, die wir gleichzeitig jonglieren, in der Luft zu halten. Außerdem wollen wir die tck (talent cloud Kassel) trotz steigender Ausbildungszahlen stetig weiterentwickeln. Das ist unser Anspruch.
Wir sind an dieser Stelle aber sehr zuversichtlich, denn wie die Erfahrung gezeigt hat, helfen uns die talents dabei sehr. Sie sind zu jeder Zeit an der Fortentwicklung der tck beteiligt. Ihr Gespür, ihre Ideen und Wünsche formen die talent cloud. Das Credo lautet, offen zu sein für Veränderung, die ohnehin immer schneller unseren (Arbeits-)Alltag prägt. Teil des Konzeptes ist es flexibel zu bleiben, damit die talent cloud dynamisch mit der Zukunft wachsen kann.
Wagen wir einen Ausblick. Wie könnte die talent cloud in drei Jahren aussehen?
Steffi und Abdullah: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Wir freuen uns auf die Zukunft und sind gespannt, was sie noch an Unvorhergesehenem für uns bereithält. Wir gehen davon aus, dass die tck in 2027, also in drei Jahren, ihre Kapazitätsgrenze an Auszubildenden und Studierenden vorerst erreicht haben wird. Es werden also 15 talents gleichzeitig den Praxisabschnitt absolvieren.
Bis dahin haben wir einen eigenen Aufenthaltsraum, den die talents selbst gestalten können, wo sie ihre Mittagspausen verbringen und wir unsere Teamsitzungen abhalten können. Bis dahin hat sich die talent cloud etabliert. Sowohl unter den Auszubildenden und Studierenden der Stadt Kassel, die ziemlich genau wissen, was auf sie zukommt als auch unter den Ämtern, die die tck als verlässliche Ansprechpartnerin im Kopf haben, wenn sie Unterstützung benötigen.
Auch werden weitere spannende Formate ausgebaut, wie einen obligatorischen KI-Workshop, agile Arbeitstechniken und die Vermittlung von Verwaltungskompetenzen. Nun… und man wird ja wohl ein bisschen träumen dürfen: Vielleicht schaffen wir es ja mal in die 20:00 Uhr Nachrichten, weil unsere talents ein genial-innovatives Projekt für die Kasseler Stadtverwaltung umgesetzt haben 😊.
Vielen Dank für diese Einblicke und weiterhin viel Erfolg!
Sie möchten mehr über die talent cloud kassel erfahren?
Abdullah Yildiz und Steffi Basche als Praxisanleitende können Sie hier kontaktieren: talentcloud@kassel.de