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55plus – Von wegen altes Eisen. Impulse für eine demografiesensible Personalentwicklung

Der öffentliche Dienst steht vor komplexen und vielfältigen Herausforderungen: Verwaltungsmodernisierung, Digitalisierung und Arbeitgeberattraktivität sind allen bekannte Stichworte, die exemplarisch für das stehen, was gegenwertig auch mit dem Akronym VUCA bezeichnet wird. Kennzeichnend für eine VUCA-Welt ist eine Umgebung, die von permanenter Veränderung und einem hohen Maß an Ungewissheit bei gleichzeitig zunehmender Komplexität sowie Mehrdeutigkeit geprägt ist (Unger & Sann, 2020). Mit diesen Umständen ist der öffentliche Dienst längst konfrontiert, und sie fallen umso mehr ins Gewicht, wenn man bedenkt, dass Personalverantwortliche vor ganz eigenen Herausforderungen stehen. Sie müssen sich den Herausforderungen mit einer zunehmend älteren Belegschaft stellen. Mit einem Alter von 45,3 Jahren ist das Personal im kommunalen Bereich überdurchschnittlich alt und hebt sich im Vergleich zu anderen Branchen deutlich ab (Destatis, 2020). Daher trifft der demografische Wandel hiesige Kommunen besonders stark.  So wurde über viele Jahre Personal abgebaut – zwischen 1990 und 2020 ca. 20% – (Demografieportal, 2022), und gleichzeitig sich nur unzureichend um jungen Nachwuchs gekümmert. Wie Städte und Gemeinden zukünftig auf diese Situation reagieren, entscheidet über die Fähigkeit, ihrem Auftrag und ihren Aufgaben nachzukommen. 

Bei aller Herausforderung die Blickrichtung ändern

Manch einer mag beim Lesen der Zeilen jetzt denken: Wem hilft es, immer wieder und schon fast Mantra-artig die Herausforderungen, vor denen öffentliche Verwaltung steht, zu betonen? In der Tat: Statt ein Ansporn zu sein, den Themen aktiv zu begegnen, kann die ständige Wiederholung Gegenteiliges bewirken und zu einer Art Lähmung führen. Zu groß scheint die Verunsicherung, wie eine adäquate Antwort auf die brennenden Fragen gefunden werden kann.

Die Veränderung der eigenen Blickrichtung kann helfen: Gelingt es Kommunen, sich konstruktiv mit der Tatsache einer alternden Belegschaft auseinanderzusetzen und den damit einhergehenden Herausforderungen zu stellen, kann dies positive Effekte auf die gesamte Belegschaft haben. Bis dahin, dass es auf andere Bereiche im öffentlichen Dienst abfärbt.

Personalentwicklung. Alle im Blick?

Der Personalentwicklung kommt dabei eine besondere Relevanz zu. Sie versteht sich als wichtige Kernaufgabe moderner Personalarbeit. Ihre Maßnahmen und Instrumente zielen auf eine langfristige Qualifikation und Weiterentwicklung der Mitarbeiter ab (fachlich, persönlich, etc.). Adressaten der Personalentwicklung sind zunächst einmal alle Mitarbeiter einer Organisation, unabhängig ihres Alters. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Nicht selten kommt es vor, dass ältere Mitarbeiter aus der Betrachtung fallen. Schaut man sich das Angebot an Seminaren an, die vom eigenen Personal besucht werden können, so setzen viele Maßnahmen eher bei jüngeren Kollegen an. Jene, die noch „fit gemacht“ werden für zukünftige Führungsaufgaben oder in ihre neue Rolle finden müssen. 

Der Ansatz einer lebenszyklusorientieren Personalentwicklung, wie Anita Graf ihn beschreibt, kann helfen, den Fokus zu weiten. Personalentwicklung muss an dieser Stelle flexibler werden, sich anpassen und die Maßnahmen auf die Lebensumstände der Mitarbeiter insgesamt abstimmen. Dazu gehört zum Beispiel auch der Verlauf des biosozialen und familiären Lebenszyklus. Gleichwohl ist es wichtig, den älteren Beschäftigten besondere Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie durch ihre Erfahrungen und ihr Wissen einen wichtigen Beitrag zum Erfolg von Verwaltung leisten (Graf, 2011).

Der demografische Wandel verlangt von den Personalverantwortlichen in der Verwaltung nicht nur kluge Ideen zur Förderung der Mitarbeiter, sondern zuallererst die Überprüfung der eigenen Einstellung zum Alter. Jeder sollte sich fragen lassen, ob in der eigenen Verwaltung nicht auch die gleichen Altersstereotype existieren wie anderswo.

Stereotype Altersbilder

Subjektive Vorstellungen vom Alter prägen zum einen das eigene Selbstbild, zum anderen das Fremdbild von Mitarbeitern und deren Lern- und Leistungsfähigkeit. Häufig treffen diese Bilder mit Pauschalurteilen zusammen: Ältere Mitarbeiter täten sich mit Veränderungen grundsätzlich schwer, auch seien sie nicht mehr so lernfähig und sowieso nur schwer zu motivieren. In Altersbildern spiegeln sich häufig kulturell tradierte Vorstellungen und individuelle Sozialisationserfahrungen (Schmidt, 2011). Die Forschung zeigt, dass sich positive, wie negative Altersbilder auf das subjektive Gesundheitsempfinden von Mitarbeitern auswirken. Außerdem prägen sie die Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen. „Insbesondere die Altersbilder von Personalverantwortlichen und Führungskräften dürften nicht nur entscheidend für berufliche Entwicklungsmöglichkeiten Älterer, sondern auch maßgeblich für deren Integration in Maßnahmen der Personalentwicklung sein.“ (Schmidt, 2011, S. 28).

Es gilt, die in einer Verwaltung vorherrschenden Altersbilder kritisch zu hinterfragen und ältere Mitarbeiter und ihre Potenziale viel stärker in den Blick zu nehmen. Stereotype Altersbilder existieren auch in umgekehrter Richtung, sozusagen von der Perspektive älterer Mitarbeiter auf die Jungen.

Demografiesensible Personalentwicklung

Eine demografiesensible Personalentwicklung wird ihr Augenmerk darauf richten, das Voneinanderlernen der verschiedenen Generationen zu fördern und pauschale Vorurteile abzubauen. Dies kann nur gelingen, wenn es einen über die Alters- und Erfahrungsgrenzen hinausgehenden Prozess gibt. Dieser kann, grob skizziert, wie folgt aussehen:

  1. Zuallererst gilt es, Führungskräfte und Personalverantwortliche für das Thema zu sensibilisieren und aufzuklären. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Beteiligungsgremien ist dabei eine unverzichtbare Grundlage. Ihre Vertreter haben das „Ohr an der Belegschaft“ und ein Gespür für die zwischenmenschlichen Themen unter den Mitarbeitern. Schon bei der Zusammensetzung des Gremiums sollte auf eine möglichst heterogene Durchmischung geachtet werden. Gemeinsam werden eigene Altersbilder identifiziert, interne Denkweisen besprochen und (kritisch) reflektiert. Inwiefern die gesamte Belegschaft oder einzelne Vertreter in diesen Prozess mit eingebunden und ihre Stimmen gehört werden, muss gut überlegt sein (großer gemeinsamer Auftakt vs. Projektstart auf Gremimumsebene, Gesamtbefragung vs. Einzelinterviews, etc.).
  2. Ziel der Überlegungen sollte es sein, in einen intergenerativen Dialog einzutreten und ein gemeinsames Verständnis für die besonderen Merkmale und Bedürfnisse von Mitarbeitern unterschiedlichen Alters zu entwickeln, Unterschiede anzuerkennen und zu würdigen. Dabei sollte der Fokus immer auf dem gemeinsamen Verbindenden liegen. Eine demografiesensible Personalentwicklung wird ihre Angebote in der Art überprüfen, dass sie zukünftig ein in Sachen Inhalt, Themen sowie Lehr-/Lernkonzept auf alle Altersklassen abgestimmtes Weiterbildungsprogramm anbietet.
  3. Zu guter Letzte geht es darum, sich über (zukünftige) Gelingensfaktoren auszutauschen, die zum einen das Potenzial älterer Mitarbeiter in den Fokus nehmen und fördern, zum anderen den Austausch über alle Altersgrenzen hinaus ermöglichen. Ein Blick in andere Kommunen, außerhalb des öffentlichen Dienstes in andere Branchen oder gar in andere Länder sei dabei ausdrücklich erlaubt. Es gilt das Prinzip der „Best Practices“. Wie wäre es damit, älteren Mitarbeitern mehr Zeitsouveränität zu geben? Wie steht es um den Wissens- und Erfahrungstransfer der Älteren? Die Bildung von Tandems erfahrener und weniger erfahrener Mitarbeiter wäre doch eine Möglichkeit.

Es braucht gewiss Mut und die Bereitschaft, kritische Denkweisen über Bord zu werfen und neue Wege zu gehen. Nicht alles was gut gemeint ist, ist dann auch gut umgesetzt. Daher sollten die Beteiligten eine nötige Offenheit und Fehlertoleranz mitbringen. Wenn es den Kommunen gelingt, gerade ihre älteren Mitarbeiter stärker in den Blick zu nehmen, dann wird es gelingen, den demografischen Wandel aktiv zu gestalten.

Gastautor Sebastian Stiewe

Analytisch, empathisch, kompetent und erfahren – das beschreibt Sebastian Stiewe schon sehr gut! Dabei durchlief der Diplom-Theologe an der Universität Kassel den Master Coaching, Organisationsberatung und Supervision. So erlangte er die fundierte Ausbildung zum Coach und Supervisor (M.A. & DGSv).

Seit 2021 ist Stiewe als selbstständiger Berater und Coach tätig. Vor seinem Schritt zur Selbstständigkeit arbeitete er als Projektleiter für Personalsuche und psychologisch fundierte Personalauswahl für Auftraggeber aus dem öffentlichen Dienst. Daher kennt er Strukturen und Herausforderungen des öffentlichen Dienstes direkt aus der Praxis.

Was ihn ganz besonders auszeichnet: der stets analytische Ansatz. Nicht zuletzt durch seine empirische Studie „Image von Coaching in der Kommunalverwaltung in Nordrhein-Westfalen“ vereint er wichtige wissenschaftliche Ansätze mit seiner Praxiserfahrung zu Lösungswegen.

Quellen:

Demografieportal (2022). Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Verfügbar unter: https://www.demografie-portal.de/DE/Fakten/oeffentlicher-dienst.html

Graf, A. (2011). Lebenszyklusorientierte PE als Ausgangspunkt für den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit. In: B. Seyfried (Hrsg.). Ältere Beschäftigte: Zu jung, um alt zu sein. Konzepte – Forschungsergebnisse – Instrumente (S. 93-106). Bielefeld: Bertelsmann Verlag.

Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020). Personal des öffentlichen Dienstes. Beschäftigte am 30.06.2020 nach Alter und Beschäftigungsbereichen (Tabelle 2.3.1). Fachserie 14 Reihe 6. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Oeffentlicher-Dienst/Publikationen/Downloads-Oeffentlicher-Dienst/personal-oeffentlicher-dienst-2140600207004.pdf?__blob=publicationFile 

Schmidt, B. (2011). Altersbilder und ihre Bedeutung für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In: B. Seyfried (Hrsg.). Ältere Beschäftigte: Zu jung, um alt zu sein. Konzepte – Forschungsergebnisse – Instrumente (S. 21-32). Bielefeld: Bertelsmann Verlag.

Unger, F., Sann, U. (2020). Führungskräfte-Coaching in der öffentlichen Verwaltung als Beitrag zur Entwicklung von Führungskräftekompetenzen für das 21. Jahrhundert . In J. Groß (Hrsg.), Soziologie für den öffentlichen Dienst (III): Führung: Perspektiven, Trends und Herausforderungen in Theorie und Praxis (S. 1-27). Hamburg: Maximilian Verlag.

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