info@public-pioneers.de | Tel. 07808/ 9139 181

Neue Möbel nicht in alte Denkräume stellen 

Was bedeutet eigentlich „neues Arbeiten“ im öffentlichen Dienst? Im Interview spricht Florian Gilbert darüber, warum es nicht um Loungemöbel, sondern um Haltung geht. Der hauptamtliche Dozent an der Hochschule für Polizei und Verwaltung NRW erklärt, was junge Generationen aus seiner Erfahrung heraus erwarten, weshalb eine gelebte Fehlerkultur der größte Hebel für Veränderung ist und wie Verwaltungen mutig, aber realistisch neue Wege einschlagen können.

Wie kam es zu Deiner Leidenschaft und dem Interesse für neue Arbeitswelten oder New Work im öffentlichen Dienst?  

Meine Leidenschaft ist in der öffentlichen Verwaltung entstanden, ja, tatsächlich. Ich hatte vor einigen Jahren das Privileg an einem Projekt in der Finanzverwaltung NRW zur Neugestaltung einer Landesbehörde teilnehmen zu dürfen. In diesem Projekt haben wir uns intensiv mit neuen Arbeitswelten und deren Gestaltung, von der Idee bis zur Ausführung, beschäftigt. Die Erfahrungen aus diesem Projekt haben mir gezeigt, wie mit Unterstützung der Leitungsebene, mit ausreichend Ressourcen und vor allem mit der Einbindung von Beschäftigten viel bewegt werden kann. Das hat mich neugierig gemacht und beschäftigt mich auch heute in meinen Seminaren zu diesem Thema.  

Nun zu New Work: New Work klingt oft nach Freiheit, Selbstbestimmung, flachen Hierarchien. In der Verwaltung treffen diese Ideale aber sehr häufig auf Rechtsvorgaben, Zuständigkeiten und klare Weisungslagen. Das erzeugt aus meiner Sicht oftmals Spannungen: Mitarbeitende wünschen sich mehr Flexibilität, gleichzeitig ist die Arbeitsorganisation oft auf Stabilität und Kontrolle ausgerichtet. Mich reizt es, diese Spannungsfelder nicht zu übergehen, sondern sie offen zu benennen und gemeinsam mit Führungskräften und Teams zu schauen: Was geht wirklich unter unseren Bedingungen und wo müssen wir auch ehrlich sagen: Hier hat New Work (noch) Grenzen? 

Meine Leidenschaft liegt also nicht darin, irgendwelche Konzepte aus der Privatwirtschaft zu übertragen, sondern im gemeinsamen Nachdenken über eine moderne Verwaltung, die sich verändert, ohne ihre Kernaufgaben und Werte zu verlieren. Dabei versuche ich, Brücken zu bauen zwischen Vision und Wirklichkeit, zwischen Theorie und Verwaltungspraxis.  

Was macht die Generationen Z und Alpha aus und worin unterscheiden sie sich in ihren Erwartungen von früheren Generationen im Berufsleben?  

Kurz vorweg: der Generationenbegriff ist durchaus kritisch zu sehen. Wer gern mehr dazu hören möchte, dem empfehle ich das Reinhören in eine Podcastfolge mit mir aus dem „Flurfunk aus Herne“, welche Anfang September erscheint.  

Wenn wir die Diskussion zum Generationenbegriff mal zur Seite schieben, wissen wir aus verschiedenen Studien, dass die Generation Z von Unsicherheiten, Krisen und einer hohen digitalen Sozialisation geprägt ist. Gleichzeitig hinterfragt sie den Sinn ihrer Arbeit. Die Generation Alpha wird nach jetzigem Kenntnisstand noch technikaffiner und wahrscheinlich noch individualistischer auftreten. Beide Generationen erwarten Beteiligung, Feedback auf Augenhöhe und Flexibilität in den bürokratischen Strukturen in der öffentlichen Verwaltung. Als Hochschuldozent arbeite ich täglich mit diesen Generationen und sehe deutlich: Es braucht andere Kommunikations- und Führungsformen, um ihre Potenziale wirklich zu entfalten.  

Welche Herausforderungen siehst Du für Führungskräfte im öffentlichen Dienst im Umgang mit diesen Generationen?  

Eine der größten Herausforderungen ist aus meiner Sicht der notwendige Perspektivwechsel. Führung im öffentlichen Dienst war lange stark geprägt durch Hierarchie, Kontrolle und Fachautorität. Dieses bürokratische System hat aus historischer Sicht zumeist gut funktioniert, aber die Erwartungen junger Alterskohorten stellen dieses Verständnis zunehmend infrage. Generation Z und Alpha fordern aktiv Augenhöhe, Sinn und Beteiligung. Für viele Führungskräfte bedeutet das: Sie müssen ihre gewohnte Rolle neu denken, weniger als Anweisende, mehr als BegleiterInnen, Coach, KommunikatorInnen.  

Dieser Perspektivwechsel verlangt nicht nur neue Kompetenzen, sondern auch das Loslassen alter Sicherheiten. Ich erlebe in meinen Trainings häufig, dass es nicht an der Bereitschaft zur Veränderung mangelt, wohl aber an Orientierung: Wie führe ich sinnvoll in einem hybriden Team? Wie bleibe ich verbindlich, ohne micromanaging zu betreiben? Wie gehe ich mit Erwartungshaltungen um, die ich selbst nie an meine Führungskräfte gestellt hätte? 

In meinen Seminaren arbeite ich deshalb oft mit praktischen Reflexionen: Was bedeutet gute Führung heute und was davon ist übertragbar auf die eigene Verwaltung? Nur wenn Führungskräfte bereit sind, ihren Blickwinkel zu verändern und sich auch selbst infrage zu stellen, kann sich die Führung in der Verwaltung zukunftsfähig weiterentwickeln.  

Wie können öffentliche Arbeitgeber heute attraktiv für junge Talente wirken?  

Ich glaube, Attraktivität entsteht durch Authentizität, Sinnorientierung und Entwicklungsmöglichkeiten. Junge Menschen wollen nicht nur einen sicheren Job, sondern eine Arbeitsumgebung, in der sie mitgestalten können. Dazu gehört auch eine moderne, offene Verwaltungskultur, die Diversität und Flexibilität ernst nimmt.  

Wichtig erscheint mir ebenso, die Vorteile der Tätigkeit im öffentlichen Dienst zu kommunizieren, wir tun dies aus meiner Sicht noch viel zu wenig. Die Gemeinwohlorientierung, Stabilität und gesellschaftliche Relevanz können sehr starke Anziehungskräfte sein, wenn sie glaubwürdig vermittelt und in den Verwaltungen auch tatsächlich gelebt werden.  

Was bedeutet „neues Arbeiten“ konkret in einer Verwaltung?  

Für mich bedeutet „neues Arbeiten“ in einer Verwaltung nicht automatisch Loungemöbel, Innovation Hub und Obstkorb. Es geht vielmehr darum, wie wir zusammenarbeiten, nicht wo oder mit welchem Möbelstück. Und genau da beginnt die Herausforderung: Neues Arbeiten heißt, Verantwortung zu teilen, Vertrauen zu schenken und Menschen in der Verwaltung mehr Entscheidungsspielräume zu geben, gerade in unserem System, das stark von Regeln und Zuständigkeiten geprägt ist.  

In der Praxis bedeutet das zum Beispiel: Eine Sachbearbeitung darf ein digitales Verfahren mitgestalten, ohne dass erst drei Hierarchieebenen zustimmen müssen. Eine Führungskraft delegiert bewusst Aufgaben/ Themen und sieht das nicht als Kontrollverlust, sondern als Chance zur Entlastung. Ein Team organisiert sich teilweise selbst, weil es die eigenen Prozesse am besten kennt. Das ist für mich neues Arbeiten und das ohne Lounge-Sessel.  

Natürlich gehören moderne Arbeitsräume dazu, aber sie sind nur dann sinnvoll, wenn sie auf neue Formen der Zusammenarbeit abgestimmt sind. Ich sage in meinen Trainings oft: Wenn wir die Kultur nicht verändern, stellen wir die neuen Möbel nur in alte Denkräume 

Welche neuen Raumkonzepte siehst Du zukünftig in modernen Verwaltungen? Wo siehst Du auch Grenzen?  

Ich sehe in vielen Verwaltungen eine große Offenheit und Neugier für neue Raumkonzepte, manchmal aber auch getrieben durch Raum- und Ressourcenknappheit. Gleichzeitig erlebe ich in meinem dazu passenden Seminarformat zum Thema auch häufig eine gesunde Portion Skepsis seitens der Teilnehmenden. Und das ist auch nachvollziehbar. Nicht jede Verwaltung hat die Ressourcen, um gleich desk-sharing, activity-based working oder „third places“ zu etablieren. Und nicht jede Aufgabe eignet sich für offene Arbeitslandschaften. Darum plädiere ich klar dafür: Klein anfangen, ehrlich analysieren, gemeinsam weiterentwickeln.  

Ein guter erster Schritt kann schon sein, bestehende Räume flexibler zu nutzen, etwa durch digitale Buchungssysteme für Arbeitsplätze oder durch das Einrichten kleiner Projekträume. Auch mobile Arbeitsplätze und hybride Besprechungszonen lassen sich oft mit wenig Aufwand umsetzen. Wichtig ist dabei, die NutzerInnen frühzeitig einzubinden: Was brauchen sie wirklich, um gut arbeiten zu können?  

Raum ist ja zudem nie neutral, er beeinflusst Kommunikation, Zusammenarbeit und auch Führung. Deshalb sollten neue Konzepte nicht nur von der Architektur her gedacht werden, sondern immer im Zusammenspiel mit der Arbeitskultur. Ein modern eingerichtetes Büro hilft wenig, wenn dahinter noch die gleiche starre Organisation steht wie vorher.  

Die Grenze liegt dort, wo Raumgestaltung als Symbolpolitik betrieben wird, hübsch, aber folgenlos für die Organisationskultur. Und auch dort, wo man versucht, mit Raum alles zu lösen, was eigentlich strukturelle oder kulturelle Probleme sind. Deshalb mein Appell: lieber kleine, gut begleitete Schritte, als ein großes Konzept, das im Alltag scheitert. Raum kann viel, aber er braucht die passende Haltung dazu.  

Wie gelingt die Balance zwischen Digitalisierung und persönlicher Begegnung, insbesondere bei hybriden Teams oder stark spezialisierten Fachbereichen?  

Der Schlüssel liegt für mich in einem bewussten Umgang mit beiden Welten. Nicht entweder digital oder persönlich, sondern: Was brauchen wir wann? Die digitale Transformation bringt enorme Vorteile: mehr Flexibilität, ortsunabhängige Zusammenarbeit, effizientere Prozesse. Aber sie kann Nähe, Vertrauen und Kreativität nicht vollständig ersetzen, besonders nicht in hybriden Teams oder bei komplexen Fachaufgaben, wo Abstimmung und gemeinsame Verantwortung gefragt sind.  

Aus meiner Sicht gilt: Digitale Tools gezielt einsetzen, gleichzeitig persönliche Begegnungen gezielt ermöglichen. In der Praxis heißt das zum Beispiel: Routinetermine können gut digital laufen, aber für Teamtage, schwierige Abstimmungen oder Entwicklungsgespräche braucht es Räume, in denen echte Begegnung stattfinden kann, physisch oder zumindest synchron und mit Kamera.  

In stark spezialisierten Fachbereichen ist zudem wichtig, dass das Wissen nicht im Silo bleibt. Hier kann Digitalisierung zwar helfen, Informationsflüsse zu verbessern, aber der persönliche Austausch über Schnittstellen hinweg bleibt entscheidend. Genau hier entstehen oft die besten Ideen: im kurzen Gespräch auf dem Flur, beim Kaffee, in der zufälligen Begegnung. Auch das muss „organisiert“ werden, gerade wenn viele im Homeoffice sind.  

Und ich möchte ergänzen: Die Balance gelingt nur, wenn sie von Führungskräften mitgedacht und vorgelebt wird. Wer hybride Teams führt, muss sich nicht nur technisch auskennen, sondern auch zwischen den Zeilen lesen können: wer meldet sich seltener? Wer fühlt sich möglicherweise abgehängt? Das ist anspruchsvoll, aber auch eine große Chance für mehr Individualisierung, mehr Vertrauen und letztlich für eine bessere Organisationskultur in unseren Verwaltungen.  

Angenommen eine Verwaltung möchte neue Raumkonzepte einführen. Was wären erste Schritte?  

Der wichtigste erste Schritt ist: erstmal verstehen, dann gestalten. Bevor man über Grundrisse, Farben oder Möbel spricht, sollte man sich die Frage stellen: Wie arbeiten wir eigentlich heute und wie wollen wir morgen arbeiten? Das klingt banal, wird aber meiner Erfahrung nach oft übersprungen.  

Ich empfehle, zunächst eine Bestandsaufnahme zu machen: Welche Aufgaben gibt es? Wer arbeitet wie häufig im Büro, wer hybrid? Wo wird konzentriertes Arbeiten gebraucht, wo Austausch? Am besten funktioniert das, wenn man Beschäftigte dabei aktiv einbindet, z. B. über Workshops, kleine Umfragen oder Hospitationen.  

Danach kann man einen Pilotbereich auswählen, ein Team oder eine Abteilung, die offen für Veränderung ist und als „Experimentierraum“ dienen kann. Hier lassen sich neue Raum- und Nutzungskonzepte im Kleinen testen: flexible Arbeitsplätze, hybride Meetingräume, mobile Möblierung. Wichtig ist, dass man diesen Prozess gut begleitet, Unterstützung der Leitungsebene einfordert sowie mit Kommunikation, Feedbackschleifen und der Möglichkeit, Dinge auch wieder zu ändern.  

Aus meinen Seminaren weiß ich: Nicht jede Verwaltung kann oder muss gleich einen kompletten Neubau oder ein Open-Space-Konzept umsetzen. Aber mit kleinen, klugen Schritten lassen sich bereits große Veränderungen im Arbeitsalltag bewirken. Und: Ein gutes Raumkonzept ist immer Ausdruck einer Haltung, es geht nicht nur um Möbel, sondern um Vertrauen, Flexibilität und Zusammenarbeit.  

Wenn Du einen Wunsch frei hättest: Welche eine Veränderung würdest Du im öffentlichen Dienst sofort umsetzen, um die Arbeitswelt zukunftsfähiger zu machen?  

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich umgehend eine mutige, gelebte Fehlerkultur im öffentlichen Dienst verankern. Denn für mich ist das der größte Hebel für echte Veränderung.  

Wir sprechen viel über Digitalisierung, Innovation, Fachkräftesicherung, aber all das bleibt Stückwerk, solange wir in einer Kultur arbeiten, in der Fehler als Makel gelten und nicht als Lernchance. Viele Mitarbeitende und vor allem auch Führungskräfte haben Angst, etwas falsch zu machen, weil die Folgen unklar oder unangenehm sein könnten. Das hemmt nicht nur Innovation, sondern auch Eigenverantwortung und Motivation.  

Gerade in einer Zeit, in der die Welt komplexer, schneller und unvorhersehbarer wird, brauchen wir Räume zum Ausprobieren, zum Lernen, zum Nachjustieren. Und wir brauchen Führungskräfte, die diese Haltung vorleben, die sagen: „Lasst uns mutig sein. Und wenn etwas nicht funktioniert, lernen wir gemeinsam daraus.“  

Ich bin überzeugt: Mit einer echten Fehlerkultur könnten wir die Verwaltung von innen heraus zukunftsfähig machen, nicht perfekt, aber lebendig, lernbereit und menschlich.  Entscheidungen treffen zu können. 

 
Vielen Dank für das Gespräch, Florian! 

Zur Person:

Forian Gilbert ist hauptamtlicher Dozent an der Hochschule für Polizei und Verwaltung NRW, spezialisiert auf Verwaltungs‑ und Personalmanagement. Zudem ist er als Trainer bei der Fortbildungsakademie des Ministeriums des Innern NRW, dem Kommunalen Bildungswerk in Berlin sowie verschiedenen kommunalen Studieninstituten mit langjähriger Erfahrung aus Referenten‑Positionen in Landesbehörden in NRW tätig.

Neue Möbel nicht in alte Denkräume stellen 
Nach oben scrollen